Ich und die Welt
Er lebte hier, lange her, aber doch
Tage voller Leere, zum Ersticken
Der Blick nach Draußen
Im Stiegenhaus riecht es noch
nach Desinfektionsmittel
Ein Arzt, Vater, jetzt sitzt
sein Sohn vor den Patienten
Ich und das graue Stiegenhaus
Er erlebte sich hier
Noch nicht so lange her
Man oder er
können sich noch daran erinnern
Erreicht mich der Atem der alten Eltern?
Ich und das Haus in der Straße
die von Bäumen gesäumt
Wie immer, im Schlafzimmer
die Strahlen der Sonne
Sonst ist es dunkel und kühl
Er zeigt in den Hof, wo die Tauben nisten
und das Gurren, das die Sommertage begleitete
Weltveränderungen auf den Steinstiegen,
sonst kein Anzeichen von Leben
noch immer nehme ich zwei Stiegen auf einmal
Noch immer die Augenblicke draußen,
das Verändern der Blicke nach Drinnen
freie Himmelflächen, Mauern,
Schattentäler im Winter
Er und Kassecker, was immer ein Bergbild bedeuten soll,
ein Berg, ein riesiger Stein,
Fels ohne Brandung, ohne Meer und Wind
Baumreihen verbergen die gefalteten Hände,
welch ein WIR in dieser Gemäldewand
diesem Volksbild Österreichs
nach dem Kriegsbeben
ich bin offen für jenes Bild
das dieses Gebirge verstellt
freier Blick, Meer, Krieg
und was dann?
Totaler Aufbau, Wandverbau,
Holzverbau, Abschottung,
Abwerfung, Abwertung
Ich bin hier zuhause
Gewesen
Verwesen
Blumenmusterbluse
Und Steireranzug
Sonntag/ICH und ER
Wir zwei träumen vom Danach
Che an der Wand als Ikone der Nullzeit
des kommenden Anfangs
Im Untergrund einer Zeit,
die sich fortgeschlichen hat
Wärme und Kälte
ununterscheidbare Gefühle
Woimmer ich lebte
Hier & und SIE lebten auch hier
Hinter den Vorhängen der Bescheidenheit,
vollkommen atonaler Hilflosigkeit
ER stiehlt S 500,- aus der Geldbörse des Vaters und kauft
sich die neue von „King Crimson“
um sich am Leben zu erhalten
Kein Gott, ein Zimmer, zwei Zimmer, Küche
In seinem Zimmer ein eingebauter Wäscheschrank
Die Eltern im Wohnzimmer
Eng und unberührbar, einsam
Langsamer innerer Durst, unstillbares ICH
Ich und er und Sie
Das andere Draußen
Ich und diese Welt
Er lebte sich hierher und
in eine Irgendwie-Vollkommenheit
Hierorts ohne Anhaltspunkte
Vorerst, vorgegeben, vor allem,
vor der neuen Zeit
geprägt
unverstanden
komisch …
Ich lebte mich von hier fort
Er verließ es und ließ etwas zurück
Verstanden, Zeit, Dinge, Welt, ein Stück von ihr,
wie ein Hauch
weht Lebenszeit durch Mauern
durch Raum und Blick und Geschmack
Auf und ab, auf und ab,
ein immernochwährender Ton
Nachholzeit, JETZT
Oh Welt, oh du verschrobene, du
Kann man sich wirklich bewusst die
eigene Wirklichkeit benennen
Zeitdieb, der ich war, nein bin
mit EUCH, verträumter, zerlumpter,
im Bettleranzug, hab mich nie wohlgefühlt
er schlägt die Trommel zu einer langsam
begleitenden Stille
HEIMWÄRTS
Nun ist’s nur mehr ein Schatten
den er wie einen Mantel mit sich trägt
wenn man jene Zeit hervorholt
die man abgeschlossen wähnte
Wenn sie, die Zeit
jetzt nochmals hervorkriecht
um sich mit dem Nullpunkt
zu vermählen
Da sie ja unumkehrbar „währte“
und in uns ihrer Interpretation harrte
Welch letzter Seufzer entgleitet ihrem
stinkenden Schlund
Fühlt sich an wie ein Zeitmantel
im Duft von Mottenkugeln
als Waffe
Lach jetzt Fremder!
Ich lache, Fremder
Er lacht mich aus
Nein, es ist nur die Erkenntnis!
Versteh mich, versteh mich jetzt, endlich!
Das Verstehen fehlte mir so , bitte enttäusche mich nicht!
Ich gehe jetzt für immer, Freund
Du Blickfreund meiner Ewigkeit
Ich lebe in meiner Nachholzeit
Er weiß was ich meine
Fort von den Augenblicken
die ihn verließen
Anders als Verlassenheit
Schräg hinten
Ich und diese Welt
Er lebte auch hier,
lange her!
Interstellar Overdrive
Cormack McCarthy sagt: „..was du mit der Erinnerung änderst,
besitzt schon eine Wirklichkeit, ob bewusst oder nicht“
Der Vater
in seinem Wehrmachtsmantel
in Constanza, in Schönbrunn, Den Helder, Paris
den Schlössern an der Loire
Im Champagnerfußbad
Im Funkwagen, schokoladeessend
Keine Zigaretten, Angst
trotzdem Lungenkrank
Auch als Segen, vom Himmel gefallen
Kein Krieg mehr, trotzdem gefallen
in die weißen Laken der Verwegenheit
Im Sonnenlicht, lufthungrig,
Lungen saugend
Rettung?
Point Zero
Auch, eben, Parallel-Geschichten
Womöglich
Was weiß ich?
Vor dem Regen kommt der Wind
Immer schon!
Erfüllung der Ortlosigkeit durch Klänge
Klangfüllung des Ortes ohne eigene Töne
Von den Eltern abgekoppelt
durch den Musikrausch
tonlose Liebe, Entsetzen
Rock & Roll, geschafft, was?
Ich durchwate den wattierten Ort der absoluten Tonlosigkeit
Faltet sich der Raum im Jetzt?
Auf dem Mauerbild (Tapete/Malerei/Schichten)
ein Bild der eigenen Identität setzen
im gebirgslosen Seelenland abgeschottet
Die eigene Identität spüren können
Endlich bin Ich
Er ist jetzt (erst)
Geworden
Fest
Keine Töne
Im Mutterleib
Kein Singen
Kein Toben
Keine Übertragung
Endlich wurde Er Ich und ich lebe und fühle und singe
spüre diese Stimmschwingungen
was wäre Ihm abgegangen
Er hätte es fühlen können
Das Felsbild bearbeiten
Das innere Felsbild
Zerstören wir es als Fest
Laut und atonal
Fest und ECHT!
Point Zero!
Ich und die Welt
Er lebte hier
Vor dem Regen
kommt der Wind …
Rudolf Müller 2012